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Der Stand der Unabhängigkeit

Otto Alder prentiert die jetzige Stellung des Unabhgige Animationsfilm durch seine Erklung und Schilderung, und auch Animation in allgemein. Greifbar auf Deutsch oder English.

Die nachfolgenden Betrachtungen stellen den Versuch dar, mich selber dem Begriff und der Substanz des ,Unabhängigen Animationsfilms" anzunähern. Dabei handelt es sich um subjektive, und unsortierte Ideen. Mein Blickwinkel ist kein theoretischer. Nachfolgende Ge-danken basieren auf meiner extensiven Tätigkeit als selbständiger Festivalberater und -programmierer und als freier Beobachter der internationalen Szene. Hier versuche ich sie zum ersten mal zu bündeln.

Alexander Petrov's The Mermaid. © Shar Studio.

Begriffsbestimmung

Unabhängiger Film "ist ein Begriff, der sich in den späten fünfziger und den sechziger Jahren in der Avantgarde-Film-Szene herauskristallisierte und 1968 mit dem politischen Höhepunkt der Studentenbewegung seine Kulmination erreichte. Inhaltliches Anliegen der Avantgarde damals war es, neue Strategien der Kommunikation zu entwickeln und -verkürzt formuliert- die Abschaffung alter ästhetischer Werte voranzutreiben. Das unabhängige Kino bekämpfte, da es seine eigene Abhängigkeit durchschaute, ,die Monoplisierung derKommunikations medien, forderte u.a. juryfreie Festivals und die Vergesellschaftung der Produktionsmittel" (Ernst Scheugel/Hans Schmidt jr., Eine Subgeschichte des Films) Damit einher ging die Verweigerung der Filmemacher gegenüber den Institutionen und die Opposition gegen die industrielle Mechanik des Produ- -zierens. Freiheit der Erfahrung (alle können und sollen Filme machen) und die Forderung nach der Sozialisierung der Produktionsmittel waren weitere Forderungen der ,Unabhängigen". Da die filmische Avantgarde schon seit ihren Anfängen in den 20iger Jahren eine sehr enge mediale Verwandtschaft mit der Bildenden Kunst (Futurismus/Kubismus) pflegte und die Animation auch als eine Synthese aus Film und Bildender Kunst verstanden werden kann, fand die Vokabel , unabhängig" selbstverständlich auch Anwendung im Bereich des Animationsfilms. Und heute, so scheint mir, ist der Begriff weitaus populärer als damals.

Bridgehampton. © John Canemaker.

Verblaßte Vokabel

Der Ausdruck ,unabhängiger Animationsfilm" wurde in den letzten Jahren durch seine indifferente und inflationäre Anwendung für alles, was nicht dem Mainstream disneyscher Provenienz entsprach oder aber im Auftrag für das Fernsehen etc. produziert wurde, seines eigentlichen politischen Gehaltes beraubt. Der Ausdruck wurde zu einem Etikett, das jeder nach Belieben für seine Zwecke verwendet. Die Gründe dafür liegen meines Erachtens u.a. an dem seit Jahren anhaltenden globalen Boom der Animation, der ihre inhaltliche und technische Bandbreite aber auch ihre Anwendungsvielfalt in allen Bereichen der Kommunikation (TV, Internet, CD-ROM, Werbung, Bildung, Kunst, usw.) kolossal erweiterte. Weitere Ursachen sind die diesem Wachstum inhärente Rationalisierung, Professionalisierung und Standardisierung aller Phasen der Produktion und der damit unweigerlich einher gehenden Konditionierung und Nivellierung von Sehgewohnheiten. Mit dem Label ,unabhängig" konnte man sich in der ebenfalls von einem schwindelerregenden Wachstum erfaßten künstlerischen Szene nunmehr am einfachsten von den seichten Inhalten und der polierten Ästhetik der kommerziellen Produktionen abheben. Die ursprüngliche Bedeutung des zwischenzeitlich wohl obsoleten historischen Gehalts des Wortes ging dabei verloren. Die Rasanz, mit der der internationale Markt für Animation expandiert, verhindert paradoxer Weise die notwendige Reflexion über das Wesen des Mediums selbst. Die theoretische Debatte hinkt der ökonomischen Entwicklung sträflich hinten drein. Meine Auslegung Ich mache mir die Definition für , unabhängig" einfach. Sie verlangt in erster Linie inhaltliche und ökonomische Freiheit für den Künstler. Also Freiheit in allen Phasen der Herstellung eines Werkes. Die einzige Verpflichtung dabei ist das individuelle künstlerische Anliegen. Die Erfüllung von Zuschauerer- -wartungen, der Versuch Trends zu bedienen, die Spekulation auf materiellen Gewinn, das Kalkül auf Erfolg beim Publikum oder aber der Wunsch nach künstlerischer oder sonstiger Anerkennung dürfen aber dabei nicht im Vordergrund stehen. Osteuropa Diese idealisierte Definition von Unabhängigkeit kann, so absurd das klingen mag, auf die Situation der Animationskünstler, die in den staatlich gelenkten Studios der kommunistischen Länder (ca. 1955-1990) arbeiteten, angewendet werden. Dadurch, daß der Animationsfilm in der Filmpolitik dieser Länder fast ausschließlich als Kinderfilm behandelt wurde, eröffnete sich im Schatten der harschen Zensur für Spiel- und Dokumentarfilme, ein künstlerischer Freiraum, der in seiner produktionstechnischen und ökonomischen Struktur eigentlich alle Bedingungen der Unabhängigkeit erfüllte und eine Insel künstlerischer Freiheit in der Unfreiheit des Systems darstellte. Trotz staatlicher Eingriffe und Kontrolle entwickelte sich in diesem Kontext eine eigenständige Ästhetik, und es entstanden geniale Werke, von denen viele einen festen Platz in der Geschichte des Animationsfilms einnehmen. Fjodor Chitruks, Juri Norsteins, Jerzy Kucias oder Priit Pärns Filme, um nur einige Beispiel zu nennen, hätten aber außerhalb dieses Kontext der staatlichen Studios niemals entstehen können. Heute, fast zehn Jahren nach der politischen Wende, und dem ,Einbruch" des Kapitalismus sind viele Künstler ganz anderen Arbeitsbedingungen unterworfen. Trotz der einschneiden den Transformationen gelang es wenigstens einigen der Künstler, unter ungleich schwereren Modalitäten unabhängig weiter zu arbeiten. Obwohl die ökonomische Berg- und Talfahrt und die mangelhafte staatliche Filmförderung eher der Kunst unzuträglich sind.

Caroline Leaf bei ihre Arbeit. © Caroline Leaf.

NFB

Strukturell ähnliche und als unabhängig zu bezeichnende Freiräume waren auch über lange Jahre hinweg den Künstlern des NFB geboten. Die Arbeiten von z.B. Norman McLaren, Caroline Leaf, Pierre Hibert oder Wendy Tilby wären meines Erachtens nicht denkbar gewesen ohne die ,halbstaatlichen" Produktionsstrukturen, die der NFB bot und teilweise heute noch, jedoch unter viel schärferen finanziellen Rahmenbedingungen, bietet. USA/Westeuropa Da über den unabhängigen Animationsfilm in dieser Hemisphäre eher Kenntnisse verbreitet sind, und sich zumindest was Westeuropa betrifft, die Förder- -bedingungen für unabhängige Projekte wesentlich besser ausmachen als in den USA, muß hier nicht in die Tiefe gegangen werden. Animationsfime, die dem Wort ,unabhängig" so wie es von mir oben definiert ist, gerecht werden, sind fast ausschließlich nur möglich durch staatliche oder private Filmförderung. Wobei hier, besonders in Westeuropa, seit einigen Jahren deutlich zu beobachten ist, daß sich die Frage nach dem ökonomischen Erfolg eines zu fördernden Films immer mehr als Hauptkriterium für die Zusage einer Unterstützung in den Vordergrund drängt. Kunstförderung degeneriert heute mehr und mehr zur Wirtschaftsför- -derung. Inhaltlich und formal sperrige Projekte tun sich dabei schwer. Japan In Japan dagegen gab und gibt es kaum relevante staatliche Kunstförderung. Dort finanzierten Künstler, die sich als unabhängig verstanden (z.B. Joji Kuri, Kihachira Kawamoto oder Renzo Kinoshita), ihre Werke mit eigenem Geld, um überhaupt arbeiten zu können. Sie hatten es daher ungleich schwerer, ihre ambitionierte Projekte, die nicht in erster Linie auf Vermarktbarkeit ausgerichtet waren, zu produzieren. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert.

Ruth Lingford's Death and the Mother. © An Ownbrand Production for Channel 4.

Channel Four - Hort künstlerischer Freiheit

Filme die fast ohne Einschränkung das Etikett ,unabhängig" verdienen, sind für mich die Produktionen, welche seit vielen Jahren erfolgreich vom britischen Sender Channel Four finanziert oder koproduziert werden. Diese als ideal zu bezeichnenden Rahmenbedingungen für den unabhängigen Animationsfilm sind weltweit einmalig. Sie garantieren vielen Filmemachern das kontinuierliche Arbeiten, fördert junge Talente und sorgt bis heute dafür, daß der Animations- -film britischer Herkunft inhaltlich und technisch weltweit Maßstäbe setzt. Der anhaltende und durchschlagende Erfolg dieser Förderpolitik liegt im wesentlichen darin begründet, daß primär künstlerische Kriterien bei der Auswahl von Projekten von Relevanz sind. Festivals Festivals, eigentlich temporäre Museen, fühlen sich seit vielen Jahren der Förderung des unab-hängigen Filmschaffens verpflichtet und nehmen daher eine sehr wichtige Rolle als Vermittler zwischen Künstler und Zuschauer ein. Für viele Filmemacher sind Festivals die einzigen Orte, wo sie ihre Filme zeigen können. 1960 wurde in enger Zusammenarbeit mit der ASIFA das erste reine Animationsfilm Festival der Welt in Annecy gegründet. Weiteres Ansinnen dabei war, den künstlerischen Dialog zwischen West und Ost zu fördern. Im Zuge der Expansion des Animationsfilms entstanden nach und nach zahllose neue Veranstaltung, die sich seiner Präsentation, Diskussion und Förderung verpflichtet fühlen. Obgleich viele dieser Veranstaltung sich in ihrer Struktur gleichen, findet man verteilt über den ganzen Globus Festivals, unterschied- -lichster inhaltlicher Ausrichtung, so daß davon ausgegangen werden kann, daß sich die Ausstellungschancen für die ,unabhängigen" Filme deutlich verbessert haben.

Marie Paccou's Un Jour. © 2001.

Studentenfilme

Möglicherweise kann der Begriff "unabhängig" noch am ehesten da zutreffend angewendet werden, wo es um Produktionen geht, die im schulischen Kontext entstehen. Bei der Ausbildung wird in der Regel die Produktionstechnik und das nötige Material kostenlos zur Verfügung gestellt. Allgemein sind die Studierenden auch keinen inhaltlichen, technischen, oder sonstigen Restriktionen ausgesetzt, was dem unabhängigen Schaffen natürlich dienlich ist. Darüber hinaus bieten Schulen Freiräume für Experimente und fördern Innovationen. Nicht von ungefähr entstammen viele herausragende Filme Schulen. So entstanden Werke wie z.B. ,Balance" (Wolfgang und Christoph Lauenstein), Secret Joy of Falling Angels" (Simon Pummell) ,Cow" (Alexander Petrow), Grand National", (Susan Loughlin) oder ,Un Jour" (Marie Paccou) an Schulen. Es sei an dieser Stelle die Vermutung erlaubt, daß bei ausnahmslos allen angeführten Filmemachern bei der Produktion ihrer Filme das Motiv des persönlichen künstlerische Ausdrucks im Vordergrund stand und nicht etwa der Wunsch nach Geld oder Ruhm. Es ist aber zu beobachten, daß auch Schulen mehr und mehr unter den Druck der sich überall breit machenden Kommerzialisierung geraten. Die boomende Industrie verlangt nach Fachkräften, die dahingehend qualifiziert sind, sofort nach Abschluß mit 100% Leistung im industriellen Bereich arbeiten zu können. Die Entwicklung geht sogar dahin, daß Studios eigene ,Schulen" gründen, um genau nach ihren speziellen Bedürfnissen auszubilden. Fazit - Animation ist die lebendigste Kunstform Animation erfreut sich immer größerer Beliebtheit. Animation ist eine junge Kunst, die gerade noch ganz am Anfang ihrer Entwicklung steht. Animation ist die Kunst der Zukunft, da sie dank ihrer Visualität auf der ganzen Welt verstanden werden kann. Experimentierfreudige Künstler und Techniker waren von Anfang an die Kraftquelle für ihre ästhetisch-technische Weiterentwicklung und Garant für stetige Erneuerung. Die technisch-stilistische Vielfalt, thematische Bandbreite und aktuelle Vitalität der Animationskunst beruhen weitgehend auf Leistungen unabhängiger Künstler. Filme von Studenten haben wesentlichen Anteil an der Weiterentwicklung der Gattung. Festivals sind nach wie vor die probatesten Orte für die Präsentation und Diskussion. Dank der gegenüber früher allgemein verbesserten und vielfältigeren Förderstrukturen sind viel Künstler in die Lage versetzt, regelmäßig arbeiten zu können und ihre jeweiligen eigenen Stile entwickeln zu können. Wie gehabt, werden Erfindungen und Entdeckungen aus dem unabhängigen Bereich von der Industrie zielbewußt und zügig assimiliert, kommerzialisiert und als eigene Errungenschaften dargestellt. Daraus ist zu schließen, daß die unabhängige Animation mit ihrer vielfältigen Kreativität und endlos zu scheinenden Innovationskraft schon immer einen großen Beitrag zur Popularisierung und Verbreitung der Kommerz- -animation leistete. Dies zu verstehen ist sehr wichtig. ,Unabhängige Animation" ist lebendiger denn je! Meines Erachtens bedarf es einer Neubestimmung des Begriffs ,unabhängig", da sich die Produktions-, Distributions- und Rezeptionsbedingungen radikal gewandelt haben. Vor allem aber verlangen die spezifischen Herstellungsbedingungen des Animationsfilms, die sich grundlegend von denen des Realfilms unterscheiden, und die Tatsache, daß er alle Kunsformen in sich vereinigt, eine eigenständige Definition. Des weiteren ist zu verstehen, daß unabhängige Produktionen heute in der Regel nicht mehr in Opposition gegen das bestehende System, sondern im System, als Teil desselben entstehen. Otto Alder war Mitglied der Preisverteilung mehrere Festspiele, sowohl als Ratgeber und Programmierer für viele andere. Er war Direktor der Stuttgarter Festspiele (1986-1992) und Leiter des ASIFA Board (1991-1996), begrundete die FANTOCHE Festspiele 1995, und seit 1992 Animation Auswahler für das Leipzig Filmfestspiele und Animation Show. Er ist auch tätig als Schriftsteller und Film Direktor. Sein letzte Film heißt "Der Geist der Genies: Fedor Khitruk und seine Filme".